Der russische Staatspräsident Wladimir Putin hat den syrischen Luftraum für türkische Drohnen freigegeben. Damit erhofft sich Putin Vorteile in anderen Bereichen in der Zusammenarbeit mit der Türkei. So beispielsweise ein Erdgas-Abkommen. Eine Analyse.
FATİH YURTSEVER
Bei einem Luftangriff im syrischen Idlib sind vergangene Woche mindestens 33 türkische Soldaten getötet worden. Dennoch hält man sich in der türkischen Öffentlichkeit mit Vorwürfen gegenüber Russland zurück. Lediglich der ständige Botschafter der Türkei bei den Vereinten Nationen, Feridun Sinirlioğlu, hat in einer Rede vor dem UN-Rat davon gesprochen, dass hinter dem Angriff vermutlich auch Russland stünde.
In diesem Zusammenhang ist die ständige Anpassungsstrategie des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan und seiner Regierung in der internationalen Diplomatie nicht zu übersehen. So hat die Erdoğan-Regierung nach dem Luftangriff auf ihre Armee alle Nato-Staaten zu einer eiligen Sondersitzung aufgerufen. Anschließend erklärte die Regierung, die Grenzkontrollen in Richtung Europa würden ausgesetzt. Das wiederum führte dazu, dass in der Türkei Asylsuchende, überwiegend syrische Flüchtlinge an die griechische Grenze, also vor die Tore Europas, gestürmt sind.
Dennoch legte sowohl die Haltung der Europäischen Union (EU), als auch die Erklärung des Nato Generalsekretärs Jens Stoltenberg offen, dass die türkische Regierung von der EU und der Nato nicht die erhoffte Unterstützung erhielt.
Der russische Staatspräsident Wladimir Putin ist dafür bekannt, nicht sofort auf Ereignisse zu reagieren. Das hatte der Kremlchef schon bei der Flugzeugkrise und dem Mord an dem russischen Botschafter unter Beweis gestellt. Putin ist vielmehr ein pragmatischer Stratege, der erstmal lieber abwartet und sein mögliches Profit berechnet.
Bei dem türkischen Staatspräsidenten ist das eigentlich anders. Erdoğan nutzt nahezu jede Gelegenheit, egal in welcher Situation sich das Land gerade befindet, um Reden zu halten. Doch diesmal blieb er still. Und das, obwohl die Zahl der türkischen Todesopfer sehr hoch ausgefallen ist.
Währenddessen hatte sich die syrische Armee bereits aus der Nähe der türkischen Beobachtungsstellen zurückgezogen. Erst danach starteten die türkischen Drohnen und F-16 Kampfjets mit ihren Luftangriffen. Parallel dazu lief in der Türkei eine intensive Kampagne in den sozialen Medien. Das Credo: “Wir haben unsere Märtyrer gerecht.” Die entscheidende Frage aber bleibt, ob das tatsächlich so war und die Worte der Regierung der Wahrheit entsprachen.
Putin und Assad geben Luftraum über Idlib frei
In der Nacht auf den 1. März haben Putin und sein Verbündeter Baschar al-Assad den Luftraum über Idlib für die türkischen Streitkräfte freigegeben und die hiesigen Luftabwehrsysteme deaktiviert. Das war ein cleveres Manöver. Denn dadurch halfen sie Erdoğan innenpolitisch. Das türkische Volk hatte sich durch den ermöglichten türkischen Luftangriff beruhigt. Warum sonst, sollten die türkischen Drohnen im Luftraum von Idlib in aller Ruhe fliegen dürfen, während in Libyen dieselben Drohnen abgeschossen wurden.
Eines sollte hier nochmal hervorgehoben werden. Der türkische Verteidigungsminister Hulusi Akar bezeichnete die Offensive in Syrien als “Bahar Kalkanı” (Schutzschild Frühling) und erklärte die “Regimeelemente” als hauptsächliches Ziel der Operation. Ohne auf die Relevanz oder die Fehler der Planung eingehen zu wollen kann gesagt werden, dass das politische Ziel der Erdoğan-Regierung ist das Assad-Regime zu stürzen. Das Assad-Regime kann in Syrien weiterhin an der Macht bleiben, weil sie die Unterstützung der alawitischen Minderheit, sowie die Kontrolle über wichtige Institutionen wie dem Geheimdienst hat. Die Unterstützer des Regimes in Syrien leben eher in den Küstenregionen. Es wäre also nicht falsch zu behaupten, dass die strategischen Punkte des Regimes an den Küstenorten und selbstverständlich in der Hauptstadt Damaskus liegen.
Tiefflug-Strategie
Erinnern wir uns an den Sechstagekrieg 1967. Dort waren die israelischen Kampfjets sehr tief über das östliche Mittelmeer geflogen, um dann an die Hauptküste zu gelangen und mit der Bombardierung zu starten. So wurden sie von den ägyptischen und syrischen Radaren nicht erkannt. Auch heute noch wenden die israelischen Jets dieselbe Strategie an um ihre Ziele in Syrien anzugreifen.
Fragen wir uns also, warum die Erdoğan-Regierung nicht von der östlichen Seite Zyperns einen Tiefflug startet und die strategischen Ziele an den Küstenregionen bombardiert, um die Blockade der Russen im Luftraum westlich des Euphrats zu umgehen. Solche Angriffe hätten einfacher erfolgen können, wenn die Regierung nicht die S-400-Raketen gekauft hätte, die sie derzeit ohnehin nicht nutzen kann, sondern stattdessen die US-amerikanischen F-35 Kampfjets.
“Jeder kennt die Wahrheit”
Immerhin bieten syrische Küsten ideale Voraussetzungen für einen solchen Schritt. All das hätte auch gerade jetzt womöglich die Unterstützung der EU mit sich gebracht, weil die syrischen Flüchtlinge an der europäischen Grenze stehen und eine solche Maßnahme erstmals das Assad-Regime zum Ziel hätte. Eigentlich kennt jeder die Wahrheit. Wie es der kanadische Künstler und Schriftsteller Leonard Cohen sagte: “Jeder weiß, das Schiff hat ein Leck. Jeder weiß, der Kapitän hat gelogen”.
Mit großer Wahrscheinlichkeit wird das Treffen zwischen Putin und Erdoğan am 5. März in Moskau stattfinden. Was Putin und Assad von der kurzfristigen taktischen Unterstützung haben werden, wird sich in den kommenden Tagen genauer zeigen. Wenn ein Erdgas-Abkommen mit einer Dauer von 30 Jahren unterzeichnet wird, wäre dies aber keine Überraschung. Wie deutlich zu erkennen ist, basieren die türkisch-russischen Beziehungen nicht auf einem stabilen Fundament. Sobald Putin erkennt, dass er von Erdoğan nicht mehr profitieren kann, wird er der Erste sein, der ihn fallen lässt.