Vor drei Jahren gab es in dem kurdischen Dorf Kuruköy eine Ausgangssperre. Die tragischen Erlebnisse von damals sind bis heute weder vergessen noch aufgeklärt worden. Die Kurdin Vedia Aykut möchte nicht, dass die Folter gegen ihren Ehemann und die Brandstiftung auf ihr Haus nicht in Vergessenheit gerät.
BOLD – Drei Jahre sind schon vergangen, seitdem die türkische Regierung im kurdischen Dorf Kuruköy (Xerabê Bava) in Mardin Nusaybin, zwischen dem 11. Februar und 2. März 2017 eine Ausgangssperre verhängt hat. Die schweren Erlebnisse in dieser Region während dieser Ausnahmesituation sind bis heute weder vergessen noch aufgeklärt worden. Die Kurdin Vedia Aykut versucht, dass die Folter des Staates gegen ihren Ehemann und die Brandstiftung auf ihr Haus nicht in Vergessenheit gerät. Als letztes Relikt aus ihrem zerstörtem Heim, einem von Ruß geschwärzten Teeglas, versucht sie die Erinnerung an die Geschehnisse lebendig zu halten.
Im kurdischen Dorf Xerabê Bava schlug das türkische Militär mit aller Härte zu. Im Zuge der groß angesetzten Operationen der Armee wurden zahlreiche historische Höhlen zugeschüttet. Der Grund war, dass man diese Höhlen als mögliche Rückzugsorte betrachtete. Daneben wurden viele Häuser, Ställe und Lagerräume vernichtet. Auch vor Lebewesen machte das türkische Militär keinen Halt. Unzählige Tiere wurden während diesen Eingriffe getötet. Dies teilte die türkische Menschenrechtsorganisation IHD in einem Bericht über die Vorgänge mit der Öffentlichkeit.
39 Personen entführt und gefoltert
Während der Operation in der Region wurden bestätigten Zahlen zufolge 39 Personen entführt und gefoltert. Dies belegen Fotos von Abdi Aykut, der zu den Gefolterten gehört. Nach dem Auftauchen dieser Belege haben zunächst die zuständige Bezirksregierung von Mardin und das türkische Innenministerium die Behauptungen abgelehnt. Anschließend ging der türkische Innenminister Süleyman Soylu weiter und behauptete: “Es passiert nichts, was im Rahmen der Rechtsstaatlichkeit nicht gedeckt wäre. Dieser alte Mann ist ein Terrorunterstützer.”
Doch während der Maßnahmen sind sogar drei Personen ums Leben gekommen. Daraufhin erklärte die Bezirksregierung, dass diese drei Personen in einem Gefecht umgekommen seien. Augenzeugen behaupten hingegen, dass sie lebendig geschnappt und nachträglich ermordet wurden.
Vom Soylu als Terrorist deklariert, vor Gericht freigesprochen
Abdi Aykut wurde nicht nur schwer gefoltert. Nach den Aussagen des türkischen Innenministers wurde der gepeinigte Mann auch noch verhaftet. Mit Abdi Aykut zusammen wurden Hatip Tunç, Rıfat Bayhan, Behçet Koçan, İsmail Ay, Abdülmecit Bal und Vasfi Doğan festgenommen. Das Gericht urteilte in diesen Fällen auf Terrorismusunterstützung. Doch bei ihrer Anhörung nach sechs Monaten im Gefängnis wurden sie freigelassen. Mit ihrer Freilassung wurde auch klar, dass das Innenministerium jeweils 18 Tausend türkische Lira Schadensersatz an die Opfer zahlen muss.
Spuren von Verwüstung im Livestream
In dem von Krieg und militärischer Wucht geprägten Zone wurden dutzende Häuser in Brand gesteckt und Existenzen vernichtet. Die Spuren sind heute noch sichtbar. Und das obwohl Bürgerinitiativen und Nichtregierungsorganisationen beim Wiederaufbau des Dorfes der örtlichen Bevölkerung Hilfe leisten. Noch immer sind Spuren der Verwüstung quasi im Livestream zu begutachten. Beispielsweise anhand der Einschusslöcher an Wänden von Häusern sowie durch leere Patronenhülsen, die in Säcken eingesammelt in den Gärten der Leute herumliegen.
Das verrußte Teeglas
Abdi Aykut trägt die Spuren der Verwüstung auch heute noch an seinem Körper. Bei jeder Erinnerung an die Phase seiner Verhaftung habe Aykut Schwierigkeiten. Verarbeitung? Für den gepeinigten alten Mann mit kurdischen Wurzeln ein Fremdwort. Seine Gesundheitslage habe sich seither verschlechtert. Ganz zu schweigen vom psychologischen Druck, der jetzt in seinem Alltag Platz einnimmt. Um sich nicht noch schlechter zu fühlen wolle Aykut nicht darüber reden. Seine Ehefrau Vedia Aykut hingegen erzählt, dass nach dem Brand in ihrem Haus nichts mehr übrig geblieben ist. Verbrannte Handys ihrer Kinder und ein Teeglas in einer Tüte seien die einzigen Relikte, die an ihr altes Leben erinnern. Diese Gegenstände bewahre Vedia Aykut bewusst auf um die Erinnerung an das Unrecht nicht zu vergessen. Dieses Teeglas sei immer noch verrußt und damit Zeichen der Verwüstung.
“Als wir kamen, war alles verbrannt – wie Kohle quasi. Bis wir es geputzt haben, war alles komplett verrußt und schwarz. Sie haben unser Haus in Brand gesetzt. Wir mussten uns von unseren Kindern trennen. Acht Monate musste ich mit meiner Tochter hier verbringen. Dieses Teeglas stand hier so ganz einsam vor sich hin. Alles sah aus wie dieses Glas. Ich habe viele Monate großes Leid erlitten. Ich möchte nicht, dass dieses Leid vergessen wird. Das werde ich nie wieder vergessen.”, so Vedia Aykut.