Ahmet Altan ist mit seinen millionenfach verkauften Romanen einer der größten Literatur-Schriftsteller der Türkei. Er ist auch bekannt für seine unbiegsame Haltung gegen die Vormundschaft des türkischen Militärs, die das Land viele Jahre fest umklammert hat. Das ist ein Erbe seines Vaters Çetin Altan, der wegen seiner Gedanken viele Jahre inhaftiert wurde.
Ahmet Altan hat als Schriftsteller und Journalist gegen das Ende der Diktatur durch die Generäle gekämpft. In diesen Jahren hat er die Reformbestrebungen von Recep Tayyip Erdoğan, im Sinne eines Beitritts zur Europäischen Union, stark unterstützt.
Nach dem die Diktatur des Militärs zerschlagen war, hat Erdoğan das Machtvakuum der Generäle aber selbst gefüllt, anstatt mit den Reformen für einen EU-Beitritt weiter zu machen. Der Streit zwischen Ahmet Altan und Erdoğan hat genau deshalb begonnen.
Nachdem Erdoğan alle Fäden in die Hand genommen hat, wurde Altan mehrfach festgenommen und immer wieder freigelassen.
Die letzte Verhaftung von Altan geschah nach dem fragwürdigen Putschversuch vom 15. Juli 2016. Nach diesem Zeitpunkt hatte Erdoğan die gesamte Macht des Landes an sich gerissen. Der Journalist war für insgesamt 38 Monate im Gefängnis.
Zunächst wurde er zu lebenslanger Haft verurteilt. Danach wurde seine Strafe in Revision auf 10 Jahre und 6 Monate verringert. Bis seine Strafe rechtskräftig war, wurde Ahmet Altan vorläufig freigelassen.
Die erste Kritik an der Entlassung von Ahmet Altan aus dem Gefängnis kam von Devlet Bahçeli, dem Koalitionspartner Erdoğans und Anführer der ultranationalistischen Partei MHP. Er war dem Schriftsteller Landesverrat vor.
Akteure aus einer Zeit also, in der die Regierung aus gemäßigten Nationalisten, Ultranationalisten sowie Generälen des türkischen Militärs gebildet war, waren auch heute diejenigen, die sich über die Freilassung von Altan beschwerten. Sie haben eine Kampagne für seine erneute Verhaftung geführt.
Die Freiheit von Ahmet Altan hat nur 7 Tage gedauert. Er wurde erneut verhaftet und ins Gefängnis gebracht.
Wurde Ahmet Altan auf Anordnung der nationalistischen Flanke verhaftet? Oder wurde er dafür verhaftet, dass er nach seiner Freilassung nicht geschwiegen hat und einen Artikel veröffentlicht hat, in dem er einen jungen Mann namens „Selman“ positiv erwähnte?
Selman und die Papierflöte
Die Türkei ist das Land, in dem die meisten Journalisten und Schriftsteller verhaftet sind. Das Erdoğan Regime lässt die Journalisten wieder frei, nachdem sie einige Jahre inhaftiert waren. Diejenigen, die freigelassen werden, beschließen zu schweigen, um nicht wieder verhaftet zu werden. Sie geben ihren Beruf auf.
Erdoğan ist mit dem Image, Leader des Landes mit den weltweit meisten inhaftierten Journalisten zu sein, unzufrieden. Die Journalisten mit Angst und Erpressung zum Schweigen zu bringen ist für ihn die schmeichelhaftere Variante.
Doch Ahmet Altan hat das nicht getan. Unmittelbar nach seiner Freilassung hat er begonnen, zu sprechen und zu schreiben. Auch wenn in der Türkei kein freies Medium übrig war, für das er schreiben konnte, hat Ahmet Altan diese Gelegenheit bei internationalen Medien wie The Guardian erhalten.
Dass Altan nicht schwieg war für Erdoğan ungewöhnlich.
Doch der Journalist hat es weiter getrieben und den Artikel „Die Flöte aus Papier“ veröffentlicht. Darin ging es, wie es sich später herausstellte, um den Neffen von Erdoğans Staatsfeind Nummer 1, Fethullah Gülen.
Viele Verwandte von Fethullah Gülen, die den selben Nachnamen tragen, sind in der Türkei derzeit verhaftet. Den Nachnamen „Gülen“ zu haben, gehört zu den größten Straftaten in der Türkei. Die noch nicht inhaftierten Verwandten von Gülen sind entweder untergetaucht oder sie befinden sich im Exil. Das gilt auch für die Verwandten von Gülen, die eigentlich eine ganz andere Weltanschauung vertreten.
Ahmet Altan schreibt in seinem Artikel von Selman und sagt, „er war wie mein Sohn“. Er erwähnt nicht seinen Nachnamen. Selman war gerade frisch vermählt, als er verhaftet wurde. Er wurde zu 7,5 Jahren Haft verurteilt.
Selmans Flöte aus Papier und die Emotionen, die er beim Spielen seiner Flöte bei den Mitinsassen verursacht hat, übertrug sich auch auf die Leser des Artikels von Ahmet Altan.
Altan schrieb, dass Selman nie einen Besucher hatte. Das war eine sehr traurige Geschichte zwischen Altan und „seinem Sohn in der Haft“.
Jeder Leser dieses Artikels wurde neugierig. Wer ist dieser Selman wohl?
Die Xenophobe und ultra-nationalistische Webseite ODA TV, unter der Leitung von Soner Yalçın, veröffentlichte nach wenigen Tagen den Nachnamen von Selman. Sie schrieben, „der von Ahmet Altan gelobte Selman ist wohl der Neffe des Terrorführers Fethullah Gülen“.
Und Ahmet Altan wurde erneut verhaftet…
Doch der große Schriftsteller hatte vor seiner Verhaftung seine gewünschte Diskussion losgetreten.
Die Gefängnisse der Türkei sind überfüllt mir lauter „Selmans“, deren einzige Schuld es ist, Oppositionelle des Erdoğan Regimes zu sein.
Die Türkische Republik hat immer schon durch die Verteufelung einer bestimmten Gruppe für ihr Weiterbestehen gesorgt. Dieser Teufel waren manchmal die Kurden, manchmal nicht-muslimische Minderheiten, manchmal die Aleviten und manchmal konservative Sunniten. Sie wurden gelyncht und getötet, ihre Güter und Vermögen geplündert und ausgeraubt.
Heute ist dieser Teufel die Gruppe von Fethullah Gülen. Zehntausende Mitglieder dieser Bewegung sind inhaftiert. Ihre Hilfeschreie werden nur durch einzelne Intellektuelle an die Öffentlichkeit getragen.
Ahmet Altan kommt da an erster Stelle.
Vielleicht war das der Grund für ihn, sein letztes Buch „Ich werde die Welt nie wiedersehen“ zu nennen.